Liebe Angehörige,
sollte Sie diese Anrede stutzig machen, freut es mich, denn es bedeutet, Sie lesen aufmerksam und stellen fest: Normalerweise werden Familienangehörige so angesprochen. Meistens steht diese Anrede in einer Reihe mit anderen, die man begrüßen möchte. Man stelle sich eine Hochzeit vor: „Liebes Brautpaar, liebe Angehörige, Freundinnen und Freunde, liebe Festgemeinde!“ Meistens sind diese Reihen von Anreden nach Wichtigkeit sortiert oder nach direkter Teilhabe an dem Anlass, zu dem man zusammenkommt. Darum: Brautpaar zuerst, denn die sind die Hauptpersonen. Dann die Angehörigen, also Verwandte, denn die sind ja besonders nah dran an den Brautleuten. Dann werden die Freundinnen und Freunde angeredet, denn selbst wenn die dem Brautpaar näher sind als die Verwandten, so sind sie doch in der Regel weniger leicht beleidigt, wenn man sie später erwähnt. Schließlich werden alle anderen begrüßt, die bisher nicht genannt wurden, mit einem schönen Sammelbegriff.
Ich nenne Sie heute meine Angehörige, weil es in dieser Woche ohne Alleingänge darum geht, dass wir uns als ein Teil der Schöpfung verstehen. Wir sind nicht nur „Angehörige des Menschengeschlechts“, wir sind darüber hinaus Angehörige von Gottes Schöpfung. Wir sind nah dran, gehören dazu. Niemand von uns schaut von außen zu, ist „nur“ Freundin oder Freund der Schöpfung, sondern alle sind wir Angehörige. Das ist eine wesentliche Aussage der Bibel. Von der Schöpfung erzählt die Bibel gleich zweimal: Einmal ganz am Anfang, wo Gott in sieben Tagen allem, auch den Menschen, einen Platz zuweist. Gleich danach beginnt die zweite Erzählung. Während Gott dabei ist, Himmel und Erde zu machen und noch nichts auf der Erde wächst, nimmt Gott feuchte Erde, modelliert einen Menschen und haucht ihm seinen Lebensatem ein. Dann baut Gott einen Garten in der Landschaft Eden. Gott lässt die unterschiedlichsten Bäume wachsen, die köstliche Früchte tragen. Zwei besondere Bäume wachsen direkt in der Mitte des Gartens, sie heißen Leben und Erkenntnis. Ein großer Fluss entspringt in dem Garten und bewässert ihn. Und dann heißt es in dem Vers, der von „7 Wochen Ohne“ für diese Woche ausgesucht wurde:
Gott der Herr nahm den Menschen und brachte ihn in den Garten Eden. Er sollte ihn bearbeiten und bewahren. (1. Mose 2,15)
In der Basisbibel, aus der die Übersetzung dieses Verses stammt, steht als Überschrift zu diesem Abschnitt: „Die Menschen im Paradies“. Das Wort Paradies kommt hier an keiner Stelle vor, aber wir nennen den Garten in Eden seit vielen Jahrhunderten so. Ich möchte heute mit Ihnen einmal nachschauen, was das Paradiesische an diesem Garten ist. Dabei ist es zunächst einmal wichtig, sich den Unterschied zwischen der Natur und einem Garten klarzumachen. In einem Garten wachsen Pflanzen, das macht ihn zu einem Angehörigen der Natur. Aber gleichzeitig ist ein Garten Teil von Kultur, weil der Mensch hier ständig eingreift. Gärten sind von Menschen dazu erfunden worden, einen Teil von Natur draußen zu lassen. In der Zeit, als die Bibel geschrieben wurde, hatten Gärten hohe Mauern, damit möglichst nichts Ungebetenes eindringen konnte. Die Pflanzen in einem Garten sind in der Regel ausgesucht und gewollt. Ungebetene Pflanzen werden geduldig entfernt, ungewollte Tiere möglichst draußen gehalten.
Wir können also festhalten: Der Mensch ist laut dieser Geschichte von Beginn an Teil der Natur und gleichzeitig Angehöriger der Kultur. Er soll den Garten bearbeiten und bewahren. Wer einen eigenen Garten hat, weiß, dass das eine Menge Arbeit bedeutet. Das bringt uns auch gleich zur zweiten Erkenntnis: Das sogenannte Paradies, in das Gott den Menschen setzt, ist kein Schlaraffenland. Die Bäume dort tragen köstliche Früchte, aber sie wachsen dem Menschen nicht in den Mund. Er soll dafür arbeiten. Ist das ein enttäuschender Gedanke für Sie? Ist Paradies für Sie eher ein Ort, an dem Sie sich bedienen lassen? Ein Ort, an dem es in erster Linie um Entspannung geht? Dann denken Sie vielleicht an ein „Urlaubsparadies“. Dort hat eigene Arbeit keinen rechten Platz. Aber dorthin fahren Sie ja lediglich für eine gewisse Zeit. Urlaub ist selbstverständlich zur Erholung da, aber in dem biblischen Paradies lebt der Mensch die ganze Zeit über. Das Paradiesische an der Arbeit im Garten Eden scheint mir zu sein, dass sie leicht ist und nicht überfordert. Der Mensch kann darauf vertrauen, dass alles gedeiht. Er kann in seiner Arbeit ruhig und kreativ sein und merken, dass keine Pflanze schneller wächst, wenn man an ihr zieht. Er geht durch den Garten und erkennt, wo er gebraucht wird, wo er bearbeiten und wo er bewahren kann.
Der dritte Punkt, der den Garten in Eden zu einem Paradies macht, ist sicherlich, dass er Geborgenheit bietet. Keine Tiere, die den Menschen bedrohen, und auch keine anderen Menschen, die von einem etwas wollen, das der nicht will. In Zeiten von Kriegen und vielen anderen Bedrohungen ist das in der Tat eine paradiesische Vorstellung. Nehmen wir diese verschiedenen Aspekte zusammen, so können wir sagen: Der Mensch ist nach biblischer Vorstellung ein Teil von Gottes Schöpfung. Er wird von Anfang an mit der Aufgabe betraut, sich um einen Teil dieser Schöpfung zu kümmern. Gleichzeitig bekommt der Mensch Schutz vor der Natur, indem er Teil der Kultur wird. Er darf in Sicherheit leben und arbeiten. Das nennen wir Paradies.
Nun wissen wir alle, wie die Geschichte weitergeht: Der Mensch muss den Garten verlassen, weil er sich nicht an die Regeln hält, die Gott aufgestellt hat. Und da sind wir nun: in der Welt, die so groß ist, dass wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen, etwas zu bewahren. Wir haben Angst, etwas so zu bearbeiten, dass wir gleichzeitig etwas zerstören. Vielleicht ist das ein vierter Aspekt, der den Garten Eden zum Paradies macht: Er ist überschaubar. In unserer Welt hängt, das wissen wir, zwar alles irgendwie zusammen, aber sie ist trotzdem unübersichtlich und groß – eine perfekte Ausrede, sich nicht zu kümmern, sondern sich in eigene kleine „Paradiese“ zurückzuziehen.
Lautet die Wochenaufgabe also „Retten Sie die Welt“? Nein, denn das ist ja nicht die Aufgabe, von der unser Bibeltext spricht. Dort steht etwas von „bearbeiten und bewahren“. Haben Sie spontan eine Idee, was das für Sie heißen kann? Dann los, tun Sie das! Sie wissen noch gar nicht, was Sie „Bewahrendes“ tun können? Dann gehen Sie diese Aufgabe so an, wie der erste Mensch im Garten in Eden: Setzen Sie sich nicht unter Druck! Schauen Sie sich um in Ihrer Umgebung und erkennen Sie irgendwann, wo etwas nötig ist! Zusatzaufgabe für Kreative: Schreiben Sie Ihre Idee auf und schicken Sie die an „7 Wochen Ohne“!
Ich wünsche Ihnen eine ernsthaft paradiesische Woche!
Ihr Frank Muchlinsky
PS: Wenn Sie Lust auf einen Ausflug in den Garten Eden haben, kommen Sie am Freitag, dem 8. März, zu unserem Online-Bibliolog. Hier ist der Zoom-Zugang: https://us02web.zoom.us/j/81456935565