Woche 3: Mit denen da drüben

Jonas Opperskalski

Liebe Einmütige,

haben Sie „starke Ansichten“? Können Sie sich ärgern oder gar aufregen über ein bestimmtes Verhalten bei anderen? Bestimmt gibt es Menschen, die Sie fassungslos machen, und ich meine dabei nicht nur solche, die echte Verbrechen begehen, sondern Menschen, bei denen Sie es einfach nicht fassen können, wie die sich gerade verhalten. Falls Ihnen von selbst nicht sofort mehrere Leute einfallen, helfe ich Ihnen gern: Wie stehen Sie zum Gendern? Was halten Sie von der AfD? Wie geht es Ihnen damit, wenn man Karl May oder Astrid Lindgren rassistische Stereotype vorwirft? Soll Deutschland mehr Waffen an die Ukraine geben? Sollen SUVs in Innenstädten mehr Geld für Parkplätze zahlen? Steuern auf Agrardiesel – ja oder nein? Reichensteuer? Wie soll man umgehen mit Menschen, die nach Deutschland migrieren? Wie mit Menschen, die den Klimawandel leugnen?

Bei diesen Themen fragen Sie sich nun bitte zusätzlich: Was halten Sie von denen, die in diesen Punkten völlig anderer Meinung sind als Sie? Bei welchem Thema ist „Schluss“ bei Ihnen? Wo ist so sehr Schluss, dass Sie den Kontakt zu Menschen meiden, die so denken, die so reden, die so sind? Zum Schluss stellen Sie sich den Schlimmsten dieser Leute vor! Zu genau dem lässt sich Jesus einladen in unserer Geschichte für diese Woche.

Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: „Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Sofort stieg Zachäus vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf. Als die Leute das sahen, ärgerten sie sich und sagten zueinander: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“ (Lukas 19,5–7 in der Übersetzung der Basisbibel)

Zachäus macht gemeinsame Sache mit den imperialistischen Aggressoren, die das Land mit Krieg überzogen haben, es nun besetzt halten und aussaugen. Er hat von den Besatzern das Recht gepachtet, Steuern einzutreiben und dabei selbst ordentlich zu verdienen. Er wird reich davon, seine eigenen Leute zu unterdrücken und zu betrügen. Und als Jesus ihn auf dem Baum sieht, lädt er sich selbst bei ihm zum Essen ein. Können Sie sich ungefähr hineinversetzen in diejenigen, die sich darüber aufregen? Ich kann es ausgesprochen gut. Es hat gute Gründe, warum niemand Zachäus mag. Er hat sich das selbst zuzuschreiben. Er wird nicht gehänselt, weil er klein ist oder irgendwie unterprivilegiert. Er hat sich seine Außenseiterrolle hart erarbeitet und verdient. Trotzdem geht Jesus zu ihm nach Hause!

Was drinnen bei Zachäus geschieht, erfahren diejenigen, die sich draußen ärgern, nicht: Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: „Herr, die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.“ (Lukas 19,8) Diese Wendung ist im besten Sinne unglaublich! Zachäus steht einfach auf und macht unglaubliche Versprechungen. Die Bibel erzählt manchmal recht knapp und nicht alle Einzelheiten werden erwähnt, aber anscheinend hat Jesus Zachäus keine Vorhaltungen über dessen Lebenswandel gemacht. Zumindest steht hier nichts davon. Jesus schneidet das Thema nicht einmal an. Zachäus kündigt trotzdem an, dass er die Hälfte seines Vermögens an Arme geben wird. Von dem Rest wird er allen, die er einmal betrogen hat, das Vierfache zurückzahlen. So überwältigend diese Ankündigung auch ist, es bleiben diverse Fragen offen: Wird das Geld überhaupt reichen, um solch eine Wiedergutmachung zu leisten? Wird Zachäus anschließend seine Kollaboration mit den Besatzern aufgeben? Wovon würde er dann leben wollen? Oder wird er weitermachen wie bisher? Ändert sich Zachäus, oder will er nur einmal auf der richtigen Seite stehen?

 Bei allen offenen Fragen: Zachäus will in diesem Moment anders sein als bisher. Er will wieder dazugehören. Und Jesus bestätigt ihm das: Da sagte Jesus zu ihm: „Heute bist du gerettet worden – zusammen mit allen, die in deinem Haus leben. Denn auch du bist ein Nachkomme Abrahams!“ (Lukas 19,9) Zachäus gehört dazu. Er ist nicht der Römerfreund, sondern ein Nachkomme Abrahams. Geht Ihnen das immer noch zu schnell? Mir auf jeden Fall! Ich komme kaum mit, so schnell wird aus dem Fiesling ein Guter. Aber dann wird mir wieder klar, wie die Bibel erzählt: Knapp! Kurz und bündig, und oft voller Geschichten, die wir als Lesende nie erfahren. Wer weiß denn, wie lange Zachäus schon unglücklich war mit seinem Dasein? Wer kann sagen, was ihn bisher getrieben hat oder was ihn abgehalten hat, sein Leben zu ändern?

Wir kennen nur den Auslöser, nicht die Motivationen hinter dem Verhalten. Der Auslöser ist ein Essen, zu dem sich Jesus selbst einlädt und das Zachäus mit Freude auftischt. Darum will ich in dieser Woche Ihnen diese Aufgabe mitgeben: Verbringen Sie etwas Zeit mit einer Person, die anders tickt als Sie! Gehen Sie auf einen Menschen zu, dessen Tun und Ansichten anders sind als Ihre! Sie brauchen dabei nicht die „heiklen Themen“ anzusprechen. Seien Sie sich nur für eine kleine Weile einmal etwas näher! Zusatzaufgabe für Verwegene: Essen Sie zusammen mit dieser Person!

Eine gute Woche wünsche ich Ihnen!

Ihr Frank Muchlinsky