Fastenmail 5: Mit der weiten Welt

In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Makedonien stand vor ihm und bat: „Komm herüber nach Makedonien und hilf uns!“ 
(Apostelgeschichte 16,9 Basisbibel)

Liebe Fastenreisegruppe,

wieder ist es Zeit für mich, herzlich Danke zu sagen für die vielen freundlichen und anregenden Rückmeldungen, die Sie mir geschickt haben! Das ist eine schöne Motivation für mich. Auch motivierend ist, dass es diese Woche auf Mittelmeerreise mit Paulus geht. Der kleine Text, der uns ausgesucht wurde, steht in der Apostelgeschichte. Kennen Sie dieses Buch aus der Bibel gut? Ich muss zugeben, dass ich die Apostelgeschichte nicht sonderlich mag. Sie wirkt auf mich ein wenig wie der zweite Roman des Erfolgsautors Lukas, den er nach seinem großen Erfolg mit dem Evangelium auch noch schreiben musste, weil ihn sein Verlag gedrängt hat. Das war natürlich nicht so. Für Lukas war es sicherlich wichtig zu berichten, wie es nach der Auferstehung Jesu weiterging mit dem noch frischen Christentum. Und es stehen ja auch wichtige Geschichten in der Apostelgeschichte: Himmelfahrt und Pfingsten, die Taufe des königlichen Beamten aus Äthiopien oder wie Paulus bekehrt wird. Was meine Lesefreude nur etwas schmälert, ist, dass man allzu deutlich merkt, wie sehr Lukas die Geschichte als Erfolgsgeschichte des Christentums darstellt. Man wird zwar verfolgt und ab und an streitet man sich, aber letztlich versöhnt man sich immer und ständig werden mehr Leute getauft.

Das liest sich in den Briefen von Paulus teilweise deutlich anders. Da kommt es zu Trennungen und immer wieder zu Rückschlägen. Paulus gehört nicht zu den Aposteln, er ist keiner von denen, die mit Jesus gezogen sind. Trotzdem macht er immer wieder deutlich, dass er den Glauben an Jesus Christus direkt von Gott empfangen hat und für seine Mission keine weiteren Erlaubnisse von den Aposteln braucht. Die Apostelgeschichte wiederum erzählt, dass Paulus sich von Petrus und den anderen Jüngern einen Brief mitgeben ließ, die er der Gemeinde in Antiochia geben sollte, um den dortigen Streit zu schlichten, was natürlich auch gelingt. Aber dann kommt es doch zu einer Trennung. Paulus’ bisherige Reisebegleiter Barnabas will jemanden mit auf die Reise nehmen, der sie beim letzten Mal im Stich gelassen hatte. Es wird heftig gestritten und schließlich trennt man sich, Paulus beginnt seine zweite Missionsreise mit einem neuen Gefährten, Silas. Gemeinsam besuchen sie zunächst Orte an der Südküste der heutigen Türkei, an denen Paulus schon war. In Lystra gesellt sich ein weiterer Begleiter zu der Reisegruppe: Timotheus, Sohn einer Jüdin und eines Griechen.

Und nun geschieht etwas Interessantes: Der Heilige Geist, der Geist Jesu, greift wie ein Navi in ihre Reise ein. Zweimal haben sie eine Idee, wohin es gehen soll, und zweimal heißt es, der Heilige Geist hinderte sie daran. Wie genau das geschah, wird nicht geschildert, der Geist Jesu ließ es einfach nicht zu. So reisen sie also immer weiter nach Westen, bis sie ans Mittelmeer bei Troas kommen. Das liegt an den Dardanellen, also an der Meerenge zwischen Asien und Europa. Hier nun erfahren wir, auf welche Weise der Heilige Geist Paulus die neue Richtung weist: In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Makedonien stand vor ihm und bat: „Komm herüber nach Makedonien und hilf uns!“ Paulus und seine beiden Begleiter brechen gleich am nächsten Morgen auf und fahren hinüber nach Griechenland.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, mit welchem Elan Paulus zu diesen neuen Ufern aufgebrochen ist. Endlich eine Gelegenheit, seinem Drang, den Leuten von Jesus Christus zu erzählen, nachzugehen! Endlich eine Gegend, die so weit von Jerusalem entfernt ist, dass Petrus und die anderen Jünger ihm nicht mehr in seine Arbeit hineinreden können! Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwartet sie dort. Dazu noch die innere Gewissheit, dass genau er dort gebraucht wird: „Komm herüber und hilf uns“, sagt der Mann in der Vision. Das sind Motivationen, die einen Menschen zu Höchstleistungen bringen können. Wer sich gebraucht fühlt, wird das eigene Tun als leicht und beglückend empfinden. Wer bei der eigenen Arbeit auch noch viel Raum für eigene Kreativität hat, wird noch fröhlicher arbeiten. Ich will Paulus nichts unterstellen, denn ich mag ihn und seinen Elan für den christlichen Glauben sehr. Diesen Elan spürt man in seinen Briefen bis heute. Ich erlaube mir dennoch für einen kleinen Moment die Annahme, dass Paulus an diesem Morgen seinen Begleitern von der Vision lediglich erzählte. Ich hoffe, Sie verzeihen mir diese kleine Spekulation, aber wäre das denn schlimm? Oder wäre es nicht vielmehr eine glückliche Idee, die Paulus hatte, weil er einfach überzeugt war, dass dies der richtige Weg ist: aufzubrechen zu ganz neuen Ufern?

Ich finde, es macht keinen wesentlichen Unterschied, ob nun eine Vision oder Paulus’ innere Überzeugung für diesen Schritt verantwortlich war. In beiden Fällen kann der Heilige Geist am Werk gewesen sein, denn so gelangte der christliche Glaube über das Mittelmeer. Und manchmal kann es hilfreich sein, sich selbst davon zu überzeugen, dass man gebraucht wird. Es hilft beim „Rüberkommen“ in neue Umgebungen und neue Lebensabschnitte. Der Unterschied zur „Erscheinung“ besteht meines Erachtens darin, dass sie überzeugender sein kann als die eigene Stimme: „Du wirst gebraucht“, klingt aus dem Mund einer anderen Person einfach noch besser als aus dem eigenen.

Darum soll die Wochenaufgabe diesmal so lauten: Bitten Sie um Hilfe! Schaffen Sie Situationen, in denen Sie anderen Menschen aus vollem Herzen sagen können: „Hier brauche ich dich!“ Es geht nicht darum, dass Sie hilflos sein müssen. Es geht darum, anderen ein sinnvolles Mitmachen zu ermöglichen. Zusatzaufgabe: Informieren Sie sich über die Arbeit von „United 4 Rescue“, das Bündnis zur Seenotrettung im Mittelmeer! Hier ist die Website: https://united4rescue.org/

Eine gesegnete Woche!

Ihr Frank Muchlinsky

PS: Unterwegs mit Paulus im Bibliolog können Sie sein am Freitag von 16 bis 17.30 Uhr unter diesem Link: https://us02web.zoom.us/j/81456935565