Predigt des Eröffnungsgottesdienstes der Fastenaktion 2025

Predigt von Ralf Meister des Eröffnungsgottesdienstes

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserm Herrn Jesus Christus, Amen.

wir leben in stürmischen Zeiten! Lehrerinnen und Lehrer, die mit Sorge beobachten, wohin ihre Schülerinnen und Schüler sich entwickeln. Überschwemmungen, die nicht mehr in weiter Ferne, sondern direkt vor unserer Haustür geschehen. Dazu der aufwühlende Wahlkampf in den letzten Monaten, der Menschen scharf gegeneinander in Position brachte. Und wem das noch nicht reichte, der hörte vor wenigen Tagen vom amerikanischen Präsidenten Drohungen über einen 3. Weltkrieg. Es scheint, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Es ist zu viel und es ist zu krass.
Diese Veränderungen überschreiten unsere Möglichkeiten. Sie überwältigen uns und flößen uns Angst ein. Das ist keine Angst, die nur mal so vorbeischaut. Kein kurzes Erschrecken, und dann ist alles wieder gut. Es ist eine Angst, die sich unter die Haut setzt. Denn für all diese Nachrichten gibt es große Echokammern. Das hallt lange nach, diese Angst kommt immer wieder. Das fängt an, wo viele von uns diese Nachrichten lesen: in den sozialen Netzwerken. Da werden schlechte Nachrichten häufiger transportiert als gute. Das Negative, das Bedrohliche, behält die Oberhand. Tja, und selbst wenn es um die Gute Botschaft, das Evangelium, geht, beginnen – so wie wir heute auch wieder - die meisten Predigten mit einer Aufzählung von Schreckensbildern. Ist das richtig? 

Ich weiß es nicht. Doch wir können kaum anders. Jeder Tag liefert viele Szenen des Scheiterns, der Bedrohung. Ich kann hunderte Nachrichten lesen, die von Gewalttaten, schlechten Wirtschaftsdaten, kriegerischen Auseinandersetzungen berichten. Und ich weiß, es gibt in den sozialen Netzwerken Millionen Botschaften, die das Böse und das Unheil beschreiben. 
So vibriert unsere ganze Gesellschaft in einer Unruhe. Das ist wie kollektiver Dauerstress. Luft zum Durchatmen scheint es nirgends zu geben. Herr Hellmund hat erzählt, dass Menschen hier in der Kirche Ruhe suchen und ihre Ängste auf goldene Gebetszettel schreiben. Doch der, an den sich die Gebete richten, scheint auch nicht die richtige Adresse zu sein. Schlimmer noch: Er scheint zu schlafen. Davon erzählt der Predigttext aus dem Markusevangelium:

Wo ist Gott? Solange ich die Situation im Griff habe, ist die Frage nach Gott eher zweitrangig. Wir suchen selbst nach Lösungen. „Hilf ‘Dir selbst, dann hilft Dir Gott“, heißt es ja oft so lapidar. Joggen gehen. Verzichten auf das, was dem Klima schadet. Das ist gut. Absolut richtig. Doch unsere Sorgen bekommen wir damit nicht dauerhaft in den Griff. Die Jünger im Boot waren Fischer. Sie hatten im Umgang mit Stürmen Erfahrung. Aber was da über sie hereinbrach, überforderte sie. Wie wir gerieten sie an ihre Grenzen. Menschen in Angst. Und Jesus? Der schläft. Interessieren ihn die Stürme unseres Lebens nicht? 

Als der Sturm tobt, die Wellen ins Boot hineinbrechen, wecken sie ihn. Und Jesus stillt den Sturm. Eine Wundergeschichte. Uns ist der Glaube daran, dass etwas gut ausgeht, fast abhandengekommen. So stark sind wir in dieser Negativschleife gefangen. Das Böse zieht das Böse an. Jesus befriedet. Und als er das macht, fragt er die Jünger: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“

Diese Frage beschämt mich. Ich habe vor einigen Jahren einen Vers gelesen,. Ich habe ihn nicht vergessen, weil er so frech und mutig ist: „Du musst mit allem rechnen. Auch mit dem Schönsten. Das Leben von einem guten Ausgang herdenken. Das ist uns verloren gegangen bei dem, was um uns herum tobt. Jeden Tag können wir eine Geschichte des Weltuntergangs erzählen, richtig. Und jeden Tag können wir eine Geschichte der Weltrettung erzählen, auch dafür gibt es unzählige Möglichkeiten. Viel zu oft, so scheint mir, haben wir uns für die erste Variante entschieden. Aber schaut auf euer Leben. Schaut auf all das, was jeden Tag, was in all den Jahren und Jahrzehnten eures Lebens einen guten Ausgang genommen hat. 
Holen wir Luft, lassen wir uns also die Zeit, in aller Unruhe, in aller Ungeduld, uns aus der Überforderung zu befreien. Das klingt so einfach. Und ist so schwer. Ich selbst, muss ich gestehen, habe damit immer wieder meine Schwierigkeiten gehabt. Die Anforderungen an meinen Dienst als Bischof waren immer wieder so groß, dass ich darüber nicht selten nicht mehr aus noch ein wusste. Als ich erst wenige Jahre im Bischofsamt in Hannover war, habe ich einmal die Stimme verloren. Ich wollte es allen recht machen. Wollte gewichtige Worte wählen, kluge Sätze sagen und abertausenden Ansprüche genügen. Mit einem Wort: Ich dachte, ich müsste dieStimme für alle sein. Darüber wurde ich fast stumm. Ich konnte nur noch krächzend und heiser dahinraunen. Ich wollte zu viel? Zu viel reden, zu viel machen, zu viel kämpfen? Und natürlich hatte ich Angst. Angst zu versagen. Und dann, auf einmal auch davor, dass die Stimme nicht wiederkommt. Mein wichtigstes Arbeitswerkzeug. 
Ich ging zur Logopädin. Und die erste Übung hieß: Atme. Zähle die Sekunden, in denen Du ausatmest. Zähle bis zwei, bis du wieder einatmest. Nichts weiter. Gerade sitzen und atmen. 

Mehr nicht. Irgendwie kam ich dabei an, bei mir. Mit dem wenigen, was ich brauchte. Es kamen noch andere Übungen hinzu. 
Und so ging es weiter, um wieder einen Ton zu finden. Eine Haltung. Die zurückhaltender war. Mit dem, was ich bin. Nicht nur dem, was andere erwarten. Ich habe viel mit Gott geredet, ohne laut zu sprechen. Ich glaube, er hat zugehört. 

Jesus fragt: „Warum habt ihr solche Angst?“ Er sagt nicht: „Habt doch keine Angst, ist doch alles gut!“ Glaube an Gott heißt nicht, dass unser Leben ohne Angst sein wird. Wir geraten in Stürme,unser Glaube wird oft schwer gebeutelt. Deshalb wecken wir Gott auf und rufen ihn. Und er hilft uns raus - wenn wir es wollen. 
Ich halte daran fest. Nicht in Ungeduld, sondern geduldig, Tag um Tag. Besonders jetzt, in der Fastenzeit. Still werden, atmen, Worte finden, Gott anrufen. Und spüren: Es wird gut. Denn du musst mit allem rechnen, auch mit dem Schönen. Amen