6. Woche: Ruhe finden

Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wir wollen ans andere Ufer fahren.“ Sie ließen die Volksmenge zurück und fuhren mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief. Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen: „Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?“ Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See: „Werde ruhig! Sei still!“ Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. Jesus fragte die Jünger: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: „Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!“ (Markus 4,35–41, Basisbibel.
Evelyn Dragan

Liebe Windbräute und Luftschlossbewohner,

ich hoffe, Sie hatten genügend Gelegenheit in der vergangenen Woche, Frühlingsluft einzuatmen. Mehr Licht, mehr Wärme, mehr Draußen, mehr süße Düfte und blaues Band! Das macht es vielleicht ein wenig einfacher, sich in Gedanken an den See Genezareth zu versetzen. Dort ist es zwar noch deutlich wärmer als bei uns, dennoch helfen die Sonnenstrahlen bei der Reise dahin, wo Jesus herkam. An diesem See berief Jesus seine ersten Jünger. An seinen Ufern predigte er und machte Tausende von Menschen satt. Der See ist unberechenbar wie der Frühling und das aus ähnlichen Gründen. Es sind die großen Temperaturunterschiede, die immer wieder zu heftigen Wirbelwinden führen. Sie treten ohne Vorwarnung auf, nachmittags oder auch nachts.

Wir können darum davon ausgehen, dass diejenigen unter den Jüngern, die auf dem See als Fischer gearbeitet hatten, solche Stürme kannten. Vielleicht kannten sie Menschen, die durch solche Wirbelwinde ihre Boote oder gar ihr Leben verloren hatten. Insofern ist es kein Wunder, dass sie in Panik geraten, als ihr Boot in einen solchen Sturm gerät. Zumal das Boot bereits beginnt, vollzulaufen. Das Wunder geschieht, als sie Jesus wecken: Jesus steht auf, befiehlt See und Wind, ruhig zu sein, und beide gehorchen. Aber fängt das Wunder nicht schon vorher an? In dem Moment, als Jesus trotz des heftigen Sturmes immer noch schläft? Um ihn herum tobt das Chaos und Jesus liegt gemütlich auf einem Kissen und schläft!

Anscheinend gibt es in dieser Geschichte verschiedene Arten, Ruhe zu finden. Der Sturm braucht eine klare Ansage: „Werde ruhig! Sei still!“ Jesus braucht nichts weiter als ein Kissen, auf dem er es sich im Heck des Schiffes bequem machen kann. Dann kann um ihn herum die Welt – oder zumindest das Boot – untergehen. Er schläft trotzdem. Dann sind da die Jünger. Damit sie ruhig werden können, braucht es ein gewisses Maß an Sicherheit. Um das inmitten des Wirbelsturms zu bekommen, wecken sie Jesus auf, rufen ihn um Hilfe. Jesus beruhigt den Sturm und macht den Jüngern im nächsten Atemzug einen gar nicht so leisen Vorwurf: „Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ Diesen Vorwurf werden sie verkraftet haben, immerhin schwamm ihr Boot wieder auf ruhigem Wasser.

Ein Machtwort, ein Kissen und ein Hilfeschrei. Diese drei Wege führen in dieser Geschichte zur Ruhe. Aber ich denke, nicht alle sind für unseren Alltag gleich gut tauglich. Das Machtwort „Sei ruhig!“ führt vielleicht beim See Genezareth und seinen tückischen Winden zum Erfolg, aber gegen aufwallende Gefühle wie Angst, Wut oder auch heftige Liebe sind diese Worte meist machtlos. Selbst Jesus ruft diesen Satz ja nicht seinen Jüngern im Boot zu, sondern dem See und dem Wind. Auch das Kissen, auf dem Jesus schläft, ist für unseren Alltag nur bedingt hilfreich. Sicherlich, es ist wichtig, genügend zu schlafen und gut ausgeruht zu sein, um den Stürmen des Lebens zu trotzen. Aber wenn es stürmt, sollten wir lieber wach sein. Krisen lassen sich selten verschlafen. Wahrscheinlicher ist es, schlafend unterzugehen.

Bleibt also der Hilfeschrei, das Aktivwerden. Das ist auch nicht so einfach, denn es bedeutet, dass ich erstens wissen und zugeben muss, dass ich Hilfe benötige, dass ich zweitens weiß, an wen ich mich wenden kann und dass ich drittens den Schritt auch mache – auch auf die Gefahr hin, dass ich für mein Tun kritisiert werde. Das ist, als ob man zum Arzt geht im Wissen darum, dass man längst hätte dort sein sollen.

Dennoch liegt in den drei Arten, mit einer Krise umzugehen, eine Möglichkeit, die ich benennen und nutzen möchte. Darum will ich sie noch einmal positiv beschreiben:

  1. Das Machtwort.
    Lass dir ruhig einmal sagen, dass du gerade zu sehr stürmst und wütest. Hör es dir einfach an, wenn dir das jemand sagt, und schaue dann, ob es dich ruhiger macht oder nicht. Vielleicht sagst du dir das Machtwort auch selbst.
  2. Das Ruhekissen.
    Ruhe dich aus, so gut du kannst! Nimm dir sozusagen ein Kissen mit an Bord, auf dem du es dir gemütlich machen kannst. Geh gut ausgeruht in die nächste Krise! Und lass dich wecken, wenn es brenzlig wird!
  3. Der Hilfeschrei.
    Wenn du Hilfe brauchst, erkenne das und hole sie dir. Denk zunächst nicht daran, dass jemand dir deswegen einen Vorwurf machen könnte. Weck jemanden auf, wenn es sein muss!

Dies seien auch die Wochenaufgaben für Sie. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Ausprobieren der drei Wege und dass Sie die Ruhe bekommen, die Sie brauchen.

Ihr Frank Muchlinsky